Glück gleicht durch Höhe aus, was ihm an Länge fehlt.

12. Januar 2017

bommel

Robert Frost sagte einmal: 

„Glück gleicht durch Höhe aus, was ihm an Länge fehlt.“

Mir ging dieses Zitat seit Bommis Tod immer wieder durch den Kopf, denn es war ein viel zu kurzes Glück … an Intensität war es aber kaum zu überbieten.

Die Trauer hält uns – acht Tage, nachdem wir unsere einzigartige Kaiserin loslassen mussten -, nicht mehr so sehr in ihrem eisernen Griff, aber so viele kleine Augenblicke dringen noch immer jeden Tag ins Bewusstsein (ich kaufe immer noch die 500 g Packung Quark und gebe dann die Hälfte an die Katzen ab, weil die Menge sonst eben für das Frühstück von zwei Hunden berechnet war) und erinnern uns schmerzlich daran, dass wir nun ein weiteres unserer Familienmitglieder voraus gehen lassen mussten.

Die Tränen werden weniger, aber das Vermissen wird nie aufhören, denn sie wird uns wohl immer fehlen.

Für mich war zum einen der Gedanke, dass ich nun nach Müsli auch meine Bommeline mit gerade mal sechs Jahren verlor, sehr, sehr schwer.

Zum anderen waren vor allem die letzten Minuten ihres Lebens ein einziges Hadern und ich weiß noch immer nicht, ob sie wirklich bereit war, den Weg über die Regenbogenbrücke zu gehen.

Sie war ja bis zum Dienstag Nachmittag relativ fröhlich, leerte ihre Schüssel mit gutem Appetit, verteidigte ihre Kekse gegen Elvis und meldete sich auch, wenn sie raus wollte. Sie lag zwar häufig nach dem Rausgehen eine Zeitlang im Flur – als müsste sie sich von der Minirunde, die sie draußen gedreht hatte, erst mal erholen – aber sie schaffte es trotzdem immer wieder, alleine aufzustehen und zu uns ins Büro oder ins Schlafzimmer zu kommen.

Aber am Dienstag Abend konnte sie beim Pieschern das Gleichgewicht nicht mehr halten und fiel hinten um. Ich habe ihr dann versucht, wieder aufzuhelfen, allerdings das fand sie gar nicht so gut … aber alleine wäre sie vermutlich nicht mehr auf die Hinterfüße gekommen.

Sie tat sich danach schwer, Richtung Haus zu humpeln und ich musste sie auch dabei stützen, weil sie sich immer wieder fallen lassen wollte. Im Haus konnte ich sie hintenrum noch sauber machen und trocken rubbeln, weil sie ja in ihr Pfützchen gefallen war. Danach ließ sie sich aber auf den Teppich im Flur fallen und mochte auch nicht mehr aufstehen. Ich habe ihr dann ihr Abendessen auch dort serviert und sie fraß auch, aber sie erhob sich den ganzen Abend nicht mehr. Ich musste ihr dann auch ihren Wassernapf vor die Nase stellen, damit sie ihren Durst löschen konnte.

Micha nahm dann sein Bettzeug und eine Decke, um bei ihr zu schlafen und ich wanderte immer wieder zu den Beiden, um zu schauen, ob die Bommeline vielleicht doch noch mal zum Pieschern vor die Tür gehen möchte, denn meistens wollte sie ja gegen Mitternacht noch mal raus.

Aber wann immer ich ihr anbot, ihr hochzuhelfen, weigerte sie sich aufzustehen. Gegen vier Uhr morgens hatte sie das Pieschie dann nicht mehr halten können und unter sich gemacht.

Wir haben dann, so gut es bei einem liegenden Hund geht, versucht sie sauber zu machen und zogen sie ins Trockene, um dann den Teppich zu shampoonieren.

An Schlafen war ja sowieso nicht zu denken und so saßen Micha und ich auch bis morgens um halb acht bei ihr und fragten uns die ganze Zeit, ob der Punkt nun gekommen war, der Bommeline den letzten Liebesdienst zu erweisen, weil sie sich offensichtlich aufgegeben hatte.

Wobei ich eben das Gefühl hatte, dass ihr Körper nicht mehr schafft, was ihr Kopf noch gar nicht fassen kann, denn sie wirkte nicht wie ein kranker, der Schmerzen und des Lebens müder Hund, sondern eher, als wäre sie lediglich etwas indisponiert und würde sich überlegen, ob das Leben im Liegen nicht auch seine Vorzüge haben könnte.

Ich rief dann den Tierarzt an, um seine Meinung zu hören … und ich hoffte inständig, dass er mir sagt, dass es noch einen Weg gibt, der Bommeline helfen zu können, ohne den letzten Entscheid treffen zu müssen. Aber er sagte mir sehr deutlich, was ich schon befürchtet hatte: Dass bei der Rasanz, mit der die Umfangvermehrung des Beins zunahm, davon auszugehen sei, dass der Tumor nicht nur weiter gewachsen war, sondern auch gestreut hätte und dass es nun weder Schmerzmittel gibt, die ihr ein schmerzfreies Weiterleben ermöglichen, noch eine Chance, dass sie mit Medikamenten wieder selbstständig aufstehen kann. Sein letzter Satz war dann auch: „Wenn der Hund unter sich macht und sie anknurrt, wenn sie ihn auf die Füße stellen wollen, ist der Punkt erreicht, an dem der Hund massiv an Lebensqualität einbüsst … und das werden Sie ganz gewiss nicht wollen.“

Nein, das wollten wir selbstverständlich nicht. Der Tierarzt meinte aber auch, dass er es vor 17 Uhr nicht schafft, zu uns zu kommen und auch wenn es ganz furchtbar war, nun den ganzen Tag zu wissen, dass wir unsere Bommeline nicht mehr lange bei uns haben werden, wollten wir, dass sie zuhause einschläft.

Ich habe dann alle Arbeiten in den Flur verlegt, um bei ihr zu sein und sogar alle Bücher und Bücherregale meiner Pferdebibliothek mit einer Hand abgestaubt, um ihr mit der freien Hand das Fell zu kraulen. Ab Mittag leisteten Micha und Nixi uns zusätzlich Gesellschaft und die Bommeline bekam alles, was sie am liebsten mochte … ich glaube, sie hat diese Stunden ganz intensiv genießen können.

Wir haben auch nicht mehr versucht, sie aufzustellen, sondern ihr Frotteetücher unter gepackt, falls sie hätte pieschern müssen.

Ab 17 Uhr begann das Warten …

Gegen 18.30 Uhr rief ich noch mal beim Tierarzt an und dort war man ganz betroffen, denn sie hatten den Termin vergessen.

Das war der erste Moment, an dem ich dachte, dass das vielleicht ein Zeichen war, der Bommeline noch ein bisschen mehr Zeit zu geben, aber mein Verstand sagte mir, dass es wahrscheinlich nur ein leidvolles Leben verlängern würde.

Um 19 Uhr kam die Tierärztin.

Bislang war die Bommeline ja ein sehr tierarztfreundlicher Hund, aber an diesem Tag mussten wir ihr einen Maulkorb anziehen und sie versuchte ihn, mit aller Kraft ihrer Vorderpfoten wieder los zu werden. Dann zog sie immer wieder ihre Pfote weg, kaum dass die Tierärztin sie greifen wollte, sodass die Spritze für die Narkose nur mit Michas Hilfe gesetzt werden konnte, der die Bommeline fest hielt.

Das war der zweite Moment, an dem ich mir nicht mehr sicher war, ob wir das Richtige tun, denn so hatte sich die Bommeline noch nie gegen den Tierarzt gewehrt. Nie hatten wir sie festhalten müssen. Immer hatte sie kooperiert und alles mit sich geschehen lassen.

Dann sollte sie eigentlich einschlafen … sie hatte sich ja schon bei der Untersuchung beim Tierarzt gegen das Einschlafen gewehrt, aber jetzt kämpfte sie so sehr dagegen, die Kontrolle zu verlieren, dass ich zum dritten Mal überlegte, ob ich gegen den Willen meines geliebten Hundes handle, wenn gleich die nächste Spitze ihr Herz still stehen lässt.

Ich wollte nicht weinen, sondern stark sein für die Bommeline, aber mir zerriss es fast das Herz und in meinem Kopf war nur noch der Gedanke: „Warum jetzt? Warum hast Du diesen Tag nicht genutzt, um darum zu kämpfen, noch länger bei uns sein zu können???“

Ich fragte die Tierärztin, ob sie unseren Entscheid wirklich für richtig hält und sie nickte und meinte, dass weil die Bommeline nicht mehr aufstehen kann und nur noch liegt, der Punkt kommen wird, an dem sie sich dabei wund liegen wird. Außerdem wäre beim Umfang des Tumores davon auszugehen, dass sie Schmerzen hätte und sie nun tagelang unter Schmerzmittel zu halten, während sie nicht mehr aufstehen kann und unter sich macht, wäre eine Qual, die wir ihr ersparen sollten.

Aber auch wenn das Herz der Bommeline nach weiteren zwei Spritzen aufhörte zu schlagen, war ich mir nicht sicher, ob sie nicht doch noch so sehr an ihrem Leben hing, dass ich nicht hätte entscheiden dürfen, es ihr zu nehmen.

Micha und Nixi ließen mir viel Zeit, um von der Bommeline Abschied zu nehmen und ersparten es mir, dabei zu sein, als sie unsere Kaiserin beerdigten … ich hätte sie nicht in die kalte Erde legen können … auch wenn Micha sie in ihr Deckchen eingehüllt hatte und ihr ihre Lieblingskekse mit auf die Reise gab, war mir der Gedanke, dass sie nun alleine dort liegt, so unerträglich schwer.

Am Nachmittag hatte Micha mir noch gesagt, dass er ein solches Leiden nicht mehr auf sich nehmen kann und er den Platz der Bommeline nicht neu vergeben möchte. Ich konnte ihn nur zu gut verstehen.

Als Micha und Nixi die Bommeline zu Grabe getragen hatten, war seine Meinung aber eine andere, denn er sagte: „Das Einzige, was mich tröstet ist, dass ich ganz sicher bin, dass es ihr bei uns so gut gefallen hat und sie schon wieder für ein neues Körperkleid ansteht, um zu uns zurück zu kehren.“

Er meinte, Nixi hätte zu ihm am Grab gesagt, dass die Seele der Bommeline jetzt vermutlich gerade neben ihrem Körper steht und empört hafft, weil man sie einfach so ihres Körperkleides beraubt hatte. Das Haffen war so eine besondere Art der Bommeline, ihre Empörung auszudrücken. Sie atmete dabei tief ein und stieß die eingeatmete Luft durch ihr fast geschlossenes Mäulchen wieder aus, was dann eben ein Geräusch ergab, das wie „Haff“ klang. Dabei schaute sie mir ihren Kirschenaugen immer ganz besonders vorwurfsvoll auf denjenigen, der gerade den Frevel gegen sie begangen hatte.

Als Micha mir das erzählte, konnte ich die Bommeline in ihrer höchsten Empörung förmlich vor mir sehen und mir sehr gut vorstellen, dass sie so gar nicht einverstanden gewesen ist, so einfach abberufen zu werden. Michas These, dass sie darum ganz schnell wieder zurückkommt, erschien mir irgendwie durchaus logisch.

Vielleicht hat er ja Recht. Vielleicht kämpfte sie gar nicht um ihr Leben, sondern vielmehr für uns, weil sie uns nicht alleine lassen wollte, nachdem sie wusste, wie sehr wir sie brauchen.

Inzwischen bin ich fast sicher, dass sie keine Zeit verlor, um den Himmlischen zu einem Gespräch zu fordern, in dem sie ihm empört mitteilte, dass da in seinem goldenen Schicksalsbuch etwas ganz gehörig falsch aufgeschrieben worden ist und sie darum verlangt, umgehend wieder in ein Leonbergerfell gesteckt und zur Erde zurück geschickt zu werden, um wieder bei ihren Menschenfreunden zu sein, die ohne sie, die Kaiserin vom Forsthof, ja komplett aufgeschmissen sind.

Da hat sie tatsächlich auch Recht. Wahrscheinlich brauchten wir sie immer mehr, als sie uns.

Micha befürchtet allerdings, dass die Bommeline diese ideale Gelegenheit, mal eben im Himmel gelandet zu sein, dazu nutzt, um rasch nach Anka, ihrem Fräulein Rottenmaier zu suchen, um sie gleich mitzubringen, wenn sie schon mal hier ist.

Unsere Tür steht ihnen auf jeden Fall beiden offen.

In den letzten Tagen bin ich auch oft gefragt worden, wie es dem King Elvis ohne seine Kaiserin geht.

Die Frage ist sehr schwer zu beantworten.

Wir haben ihn ja bewusst nicht dabei sein lassen, weil die Bommeline seine Aufdringlichkeiten in den letzten Wochen so gar nicht schätzte und sich vehement dagegen wehrte. So konnte er sich erst von ihr verabschieden, als sie schon gegangen war.

Ob er begriff, dass sie nicht zurückkommt, nicht mehr aufstehen wird und er nun alleine mit uns ist?

Ich weiß es nicht.

Einerseits war er am Abend von Bommis Tod und am Tag danach sehr in sich gekehrt und er schleckerte auch nur ein bisschen in seiner Schüssel herum, obwohl ich ihm wirklich ganz besondere Leckereien servierte.

Inzwischen habe ich aber schon fast das Gefühl, dass er sich als „Alleinhund“ gerade anfängt, sehr wohl zu fühlen, denn er muss ja nun nichts mehr teilen und er ist jetzt überall dabei, damit er sich nicht alleine fühlt.

In den letzten drei Wochen stand ja die Bommeline bei uns auch sehr stark im Mittelpunkt und wir richteten unser Leben nach ihr ein … da kam Elvis vermutlich hier und da schon ein bisschen zu kurz. Ganz sicher nicht absichtlich, aber ich merkte schon auch, dass er auch gerne das Bohei genossen hätte, das wir um das Wohlbefinden der Bommeline veranstaltet haben und so gern auch weiter für sie veranstaltet hätten.

Ihm fehlte ganz sicher das Spielen mit seiner Kaiserin, denn er versuchte sie immer mal wieder zu animieren und wenn wir ihn dann schalten, sie nicht zu schubsen, war er sehr beleidigt.

Vor kurzem, als seine Freundin Hetty zu Besuch war, merkte man doch, wie glücklich ihn das machte, dass das Hundemädchen mit ihm herumsprang und über den Hof tollte.

Aber so ganz sicher bin ich mir nicht, ob er diese Lösung nicht erstrebenswerter fände, sich ab und zu seine Freundin Hetty einzuladen, die Abends wieder mit ihren Menschenfreunden nach Hause fährt und weder sein Schlauchboot, noch seine Kekse einfordert, statt wieder eine neue Regierung zu haben, die seine gesamten Prioritäten, die er nun ganz alleine für sich beansprucht, in Frage zu stellen.

Micha meinte, er gönnt Elvis diese Zeit, in der er nun der Alleinregent ist durchaus, aber er ist auch der Meinung, dass Elvis sich nicht zu sehr daran gewöhnen sollte.

Micha ist nämlich ganz sicher, dass die Kaiserin sich vermutlich schon wieder im Landeanflug befindet, weil sie dem lieben Gott ganz schnell klar machte, wer hier ab sofort bestimmt, wenn er sie nicht ganz schnell wieder zurück schickt, dass der sie dann auch lieber wieder in ein Leonbergerfell steckte und ihren Ausreiseantrag aus dem Himmel im Eilverfahren bearbeitete, um nicht plötzlich ein weiterer Untergebener der Hoheit zu sein.

Es fällt mir zwar schwer, mir vorzustellen, dass der irdische Platz der Bommeline vielleicht sehr schnell wieder vergeben werden könnte, aber der Gedanke, wie sie die Regentschaft im Himmel anstrebt und darum schnellstmöglich wieder vor die Pforte gesetzt wird, lässt mich still vor mich hinlächeln – denn genau so war sie eben und genau so soll sie wieder sein dürfen.

Eure Kräuterbine