Im Gespräch mit Veganern oder den wenigen Frutariern, zu denen ich Kontakt halte, fällt mir immer wieder auf, dass sie zum Großteil das exakte Datum benennen können, an dem sie sich entschieden vegan oder frugan zu leben oder dass sie sich sogar genau den Tag notierten, an welchem sie alle unveganen Produkte aus ihrem Kühlschrank und ihrem Lebensmittelvorrat entfernten, beziehungsweise endgültig keine Kartoffeln oder Karotten mehr im Haus haben wollten.
Ich kann das nicht, denn es gab ihn bei mir nicht, den Tag, an dem ich Veganer wurde und auch den nicht, an den ich mich nun genau noch erinnern könnte, die letzte Zwiebel in den Garten getragen zu haben, damit sie weiterleben kann, weil es kein Spontanentscheid war, wie der Moment, in dem ich vor mehr als einem viertel Jahrhundert die letzte Zigarette ausdrückte und wusste, dass ich mir nie mehr eine anzünden werde – wobei ich mir auch das Datum nicht merkte und nur noch weiß, dass ich 22 Jahre alt war und bis dahin sechs Jahre lang Nikotin konsumiert hatte.
Natürlich bin ich überzeugt, dass man genauso an einem bestimmten Tag beschließen kann, kein Fleisch und keine Eier mehr zu essen und auch keine Milchprodukte mehr zu verwenden, wie ich auch an einem bestimmten Tag beschloss, ab sofort mit dem Rauchen aufzuhören und dass es durchaus eine Menge Leute gibt, die sich diesen Tag im Kalender rot anstreichen werden, vielleicht sogar ab und zu zurückrechnen, wie viele Tage, wie viele Wochen, wie viele Monate sie es nun schon schafften, sich in Enthaltsamkeit zu üben, kann ich auch nachvollziehen, aber ich glaube, dass es einen ganz klaren Unterschied gibt, ob ich plötzlich das Rauchen aufgebe oder anderen Genussmitteln entsage, oder ob ich fortan keine tierischen Produkte oder lebende Pflanzen mehr konsumiere, denn die Gründe für ein Leben in Alkohol- und Nikotin-Abstinenz sind in der Regel zu dritt:
1. es macht abhängig
2. es kostet Geld
3. es schadet der Unversehrtheit meines Körpers und gefährdet damit meine Gesundheit
… und damit handelt es sich um Argumente meines Verstandes, der an meine Vernunft appelliert, weil es seine Aufgabe ist, mich vor Schaden zu bewahren, den er als solchen erkennt, wenn ich ihm diese Informationen zukommen ließ, indem ich zum Beispiel über ein erhöhtes Krebsrisiko bei Rauchern oder die Gefahr einer Leberzirrhose infolge übermäßigen Alkoholgenusses las.
Gewiss kann man Punkt 3 der Verstandsargumente mit ein bisschen Recherche auch auf den Genuss tierischer Nahrung übertragen, denn immer öfter sind es nicht nur die Vegetarier und Veganer, die überzeugt sind, dass pflanzliche Kost gesünder ist, sondern man liest diese Aussage auch in wissenschaftlich fundierten Texten.
Allerdings gibt es wie bei jeder Contra-Bewegung auch die Vertreter der Pro-Fraktion und so gibt es sicher auch mindestens genauso viele Berichte der Befürworter von Fleisch, Eiern und Milchprodukten wie man Gegner davon findet. Bei Karotten und Kartoffeln scheiden sich die Geister dann meist nicht einmal mehr, denn wer Verzicht bei Wurzel- und Knollengemüse übt, der lebt in den Augen der Anderen sowieso ungesund.
Insofern hinkt der Vergleich zum Konsum von Nikotin und Alkohol bereits, auch wenn wohl kaum jemand handfeste und nachweisbar gesundheitsfördernde medizinische Wirkungsweisen des regelmäßigen und vielleicht sogar intensiven Bier-, Wein- und Schnapstrinkens aufzuzeigen wissen wird, die – mal vom Gläschen Rotwein abgesehen – durch ihren positiven Einfluss auf den Körper, Krankheiten tatsächlich nachhaltig zu verhindern oder zu heilen vermögen. Im Gegensatz dazu ist erwiesen, dass zum Beispiel die Symptome von Gicht durch eine überwiegend vegetabile Kost und den weitgehenden Verzicht auf Purine aus tierischen Quellen, wie man sie in Fleisch und Fisch findet, gemindert werden, was wiederum
1. dafür spricht, dass zumindest Fleisch nicht nur ein Kraftspender ist, wie es uns die Werbung der Wurst- und Fleischwarenfirmeninhaber gerne weis machen würde, sondern dass der Verzehr auch gesundheitliche Risiken birgt und
2. der Verzicht auf Fleisch somit auch ein Vernunftentscheid sein kann, zu dem mir mein Verstand rät, wenn ich ihn zuvor mit genügend Informationen fütterte, die belegen, dass Vegetarier vielleicht sogar gesünder leben, als Fleischesser – allerdings gilt das Argument leider nicht für die Veganer und schon gar nicht für mich als Frutarier. Demjenigen, der sich vollkommen ohne tierische Produkte ernährt, unterstellen die meisten Mediziner nämlich, unter Garantie dabei einen Vitamin B12-Mangel zu entwickeln und sie unterstreichen ihre Meinung mit der Behauptung, dass tierisches Eiweiß aus Fleisch oder Milchprodukten eine wichtige Grundlage einer gesunden Ernährung bildet, weil man nur darin nennenswerte Mengen dieses Vitamins findet, dessen Mangel zu. Nervenstörungen und im schlimmsten Fall zu Krankheiten wie zum Beispiel der multiple Sklerose, führen könnte … dass Gemüse nur gesund ist und ein Verzicht darauf nur krank machen kann, brauche ich an dieser Stelle als Argument der Mediziner nicht noch einmal zu erwähnen – aber ganz von der Hand zu weisen ist das unter dem Gesichtspunkt, dass man Vitamine braucht, auch nicht und darum führt mich dieser Gedankenausflug doch wieder zum Ursprung zurück, an dem ich für den Verzicht auf Alkohol und Zigaretten auf die Unterstützung meines Verstandes bauen kann, der mir vernünftige Gründe aufzählen wird, die allesamt gegen den Konsum solcher Genussmittel sprechen, aber um ihn auf meine Seite zu ziehen, indem ich ihm versichern konnte, dass es dem Körper, in dessen Kopf er wohnt, besser gehen wird, wenn ich ihm keine Nahrung tierischer Herkunft und keine Wurzeln und Knollen zu verdauen gebe, sondern ihn frugan ernähre, dafür musste ich intensive Überzeugungsarbeit leisten und Beweise finden, um damit gegen seine Argumentation der Vernunft, die keinen Vitamin B12-Mangel riskieren will, anzutreten.
Daraus erklärt sich, dass ich den Veganismus nicht als ein „Abgewöhnen des Verzehrs von Nahrung und dem Konsum von Produkten tierischer Herkunft“ und den Fruganismus nicht als „Verzicht auf Wurzeln und Knollen“ definiere, zu dem man sich kurzfristig entscheidet, wie man sich Zigaretten abgewöhnt zu rauchen und keinen Alkohol mehr trinkt, sondern dass man außer dem inneren Schweinehund, der unbequeme Veränderungen hasst, und den es zu überwinden gilt, auch noch den eigenen Verstand zu einem neuen Denken animieren können muss, obwohl der sich recht deutlich auf der Gegenseite platziert und kein Kontra versäumt anzubringen, mit dem er wieder an Macht über meine Entscheide gewinnen könnte.
Es erfordert manchmal nicht nur den Mut, das Wagnis einzugehen, sich dem Ratschlag des Verstandes entgegenzustellen, sondern auch den Willen, vielleicht kühne Entscheide zu treffen, wenn es darum geht, das vernunftgesicherte Terrain zu verlassen, weil es nur außerhalb seiner Grenzen möglich ist, Neues zu entdecken und für sich selbst zu prüfen.
Und auch wenn das Rauchen und die Sucht nach Alkohol schwer aufzugeben sind, weil sie Stress abzubauen helfen, für Entspannung und somit für Wohlbefinden sorgen, einen Rauschzustand oder zumindest eine wirklichkeitsferne Distanz zu den Belastungen des Alltags erzeugen und damit die Chance anbieten, der unangenehmen Realität für einen Moment den Rücken zu kehren, so empfinde ich es persönlich als noch schwerer, den Geist und das Denken zu verändern, weil es langwieriger und risikoreicher ist, dem Verstand entfliehen zu müssen, um ihm jenseits der Vernunft einen besseren Weg zeigen zu können, den er – würde ich sein Einverständnis und seine Hilfe erbitten – ablehnen müsste, als eine körperliche Sucht aufzugeben, wenn man dabei dem Ratschlag der Vernunft folgen kann und sich des Beistandes des Verstandes dabei sicher sein darf.
Der Veganismus ist für mich persönlich darum genauso wie der Fruganismus vielmehr eine Lebensphilosophie, zu der man sich im Laufe eines Reifeprozesses hin entwickelt, während man an die Grenze des eigenen Bewusstseins reist, um sich dann dort angekommen zu entscheiden, ob man den durch die Vernunft gesicherten und vom Verstand abgesteckten Bereich verlässt und hineinschreitet in eine neue Erlebniswelt, deren Risiken man nicht kennt, die aber Erfahrungen verspricht, die innerhalb des sicheren Terrains nie möglich wären oder ob man doch lieber stehen bleibt oder gar umkehrt.
Insofern halte ich es auch für relativ unwahrscheinlich, dass mein kleingeistiger Verstand der Initiator für meinen Entscheid, frugan zu leben hätte sein können, weil er mich garantiert nicht mut- und freiwillig aus dem vernunftorientierten Handeln hinauslenkt und hineinführt in die ihm unbekannten Gefahren und möglichen Bedrohungen – vielmehr wird er wohl alles an Angst aufbieten, mir Bilder vor mein geistiges Auge halten, die Furcht in mir wecken und dafür sorgen, dass ich lieber vernünftige als mutige und damit unvernünftige Entscheide treffe.
Wer aber treibt mich dann an, weiter zu forschen?
Wer spricht mir Mut zu und zeigt mit Visionen von Frieden und Harmonie, die mich erwarten und denen ich näher komme, mit jedem Schritt, den ich in diese Richtung wage zu gehen?
Wer reicht mir seine Hand?
In wessen Hand lege ich meine vertrauensvoll, damit er mich führt?
Wer sorgt dafür, dass ich nicht verzage, wenn ich zu forsch voranschritt und ihn verlor? Wenn ich zaudernd zögerte und ausgerechnet den losließ, der mir die Angst nimmt und die Freude zeigt? Wenn ich glaubte, eine bessere Richtung zu kennen und einen Pfad einschlug, der mich wegführte von ihm und der Sicherheit seiner Nähe?
Wer zündet mir das Licht in der Dunkelheit an, in die ich mich verirrte, damit es mir leuchtet und den Weg erhellt, damit ich ihn wiederfinde?
Dies herauszufinden ist eine Suche nach dem WER und je weiter ich ging, je näher kam ich der Antwort auf meine Fragen und desto bewusster wurde mir, dass meine Art zu leben, vor allem in der Gemeinschaft meiner Mitgeschöpfe, von einer Art der Unachtsamkeit, Respektlosigkeit und der mangelnden Wertschätzung zeugt, die zwischen mir und dem Frieden stand und mich nicht zu einer tiefen inneren Harmonie finden ließ, nach der ich doch eigentlich strebte.
Natürlich liebte ich meine Mitgeschöpfe in der Art, wie sich die Liebe für uns definiert, als ein Gefühl tiefster Zuneigung … zumindest diejenigen, die mir nah standen und so wäre es mir nicht in den Sinn gekommen, Fleisch zu essen von der Art meiner Pferde, meiner Hunde, meiner Katzen, Kaninchen oder Meerschweinchen, denn meinen Tieren in die Augen zu sehen und zu wissen, dass ich gerade einen ihrer Brüder oder Schwestern verzehrte, wäre wie ein Verrat meiner Liebe an ihnen gewesen. Aber Rindersteak oder Schweinekotelett zu kaufen und zuzubereiten fiel mir nicht sonderlich schwer … bis eines Morgens das Tor zur Rinder-Koppel, auf welcher die Mastkälber des Nachbarn grasten offen stand und kein Tier mehr dort weidete. Tags zuvor hatte ich noch ihre dichten Stirnlocken gekrault und ihnen heimlich Leckerchen zugesteckt, wenn sie neugierig an den Zaun kamen, um mich zu beobachten, während ich die Pferde versorgte, die ihnen gegenüber standen und nun erwarteten sie mich nicht mehr. Dass mein Nachbar glaubte, mir für ihr plötzliches Verschwinden eine Erklärung schuldig zu sein, machte es mir nicht leichter zu akzeptieren, was geschehen war, aber es verdeutlichte mir, dass ich nicht ihm die Schuld dafür geben konnte, dass er sie an den Metzger verkauft hatte, sondern dass er damit lediglich half, mein Bedürfnis nach Rindfleisch zu befriedigen, indem er die Kälber gemästet und sie an den Schlachter verkauft hatte, damit es mir und allen anderen Fleischessern möglich wird, Stücke vom Körper dieser Tiere zu konsumieren, ohne sie selbst dafür aufziehen und umbringen zu müssen.
Ich wusste wohl in dem Moment, obwohl ich ihn nicht mir dem Wochentag oder dem Datum benennen kann, dass ich nie mehr würde ein Stück Rindfleisch würde essen können, ohne dass mich dabei daraus die vorwurfsvollen Blicke aus seelenvollen Kälberaugen begleiten, die sich anklagend auf mich richten.
Zuerst war es nur das Fleisch von Rindern, dann mochte ich auch kein Schweinefleisch mehr essen, weil Willibald und Augustine, die ich als Glücksschweine und Geburtstagspräsente erhielt, mich lehrten, dass die These, sie seien uns genetisch sogar näher als Primaten, zu stimmen schien. Ihr früher Tod – Willibald erlag einer Lungenentzündung, Augustine folgte ihm kurz darauf, weil sie die Gutmütigkeit und die Schlagkraft der Hinterhufe eines Pferdes falsch eingeschätzt hatte – hinterließ in mir nicht nur die Trauer um sie, sondern ein ganz neues Bild von der hohen Intelligenz der Schweine. Die Zeit mit ihnen zeigte mir vor allem, dass diese hochsensiblen Tiere, die so schnell lernten, dass sie selbst unsere Schäferhunde an Gelehrigkeit übertrafen, auch zu tiefen Gefühlen fähig waren, denn Augustine schleppte sich sterbend und mit letzter Kraft noch bis zur Haustür, weil sie wohl sicher war, dass wenn ihr nun noch jemand helfen kann, sie denjenigen wohl hier am ehesten träfe … sie hatte mir vertraut bis zu ihrem letzten Atemzug, aber das Glück, das sie mir bringen sollte und mir brachte, hatte sie viel zu früh verlassen.
Doch zumindest konnte ich im Wissen von ihr Abschied nehmen, dass ihr vielleicht nicht viel Zeit gegeben war, ihr kleines Schweineparadies zu genießen, aber dass sie den Himmel immerzu sehen durfte, bevor sie zu ihm hinaufreiste und sie damit vermutlich mehr Glück hatte, als es ihre Artgenossen, die man doch als Symbole des Glücks definiert und denen man trotzdem nur selten ein Stück davon gönnt, das sie selbst behalten dürfen.
Nachdem ich also erkannt hatte, dass ich mit Willibald und Augustine nicht irgendwelche Schlachttiere, sondern Mitgeschöpfe, die mir zu geliebten Freunden wurden verlor, strich ich auch Schweinefleisch von meinem Speisezettel und verlegte mich auf Geflügel- und Fischgenuss, denn diese Tiere schienen mir nun nicht gerade liebenswert und somit als Nahrung geeignet, die mir beim Verzehr kein schlechtes Gewissen bereitet.
Doch dann kippte dieser Geflügeltransporter ausgerechnet auf der A1, direkt vor unseren Augen um und ich sah das langsam erlahmende Flattern der Flügel in den Plastikkäfigen, während sich die zusammengepressten Körper sich gegenseitig die Luft zum Atmen nahmen und ihre aufgerissenen Schnäbel vergeblich nach Sauerstoff schnappten … es war aber nicht nur das Grauen, das sich da genau vor unseren Augen abspielte, das mich in eine Schockstarre versetzte, sondern die Erkenntnis, dass sie auch für mich auf diesen Transport geschickt worden waren, weil auch ich Geflügelfleisch kaufen wollte und genau um dieses Bedürfnis von mir und allen anderen Geflügelfleischessern zu befriedigen, hatten diese Vögel diese Reise antreten müssen.
Eigentlich hätte ich von diesem Tag an gar kein Fleisch von Tieren mehr essen dürfen, denn ich schämte mich in dem Augenblick so sehr für mein eigennütziges Denken und Handeln, in dem ich nur nach der Befriedigung meiner Bedürfnisse strebte, ohne dass es mir zuvor auch nur ein Gedanke wert gewesen wäre der mich in die Überlegung geführt hätte, dass ich für meine Freude am Fleischgenuss das Leid meiner tierischen Mitgeschöpfe in Kauf zu nehmen bereit war, dass ich Abbitte leistete bei all den Seelen, von deren Körper ich ihnen einen Teil als Nahrung genommen hatte.
Doch auch wenn mir bewusst geworden war, dass ich meine Mitgeschöpfe nicht nach meinem Maß bewerten darf, nachdem ich glaubte bestimmen zu dürfen, wer schön, lieb, niedlich oder freundlich genug ist, ihm nicht um seines Fleisches willen nach dem Leben zu trachten und wem die Attribute, die mich berühren fehlen und dem somit auch kein größerer Wert als den eines Nahrungslieferanten zuzukommen hat, konnte ich mich noch nicht ganz von meinem alten Denken und zumindest nicht von Fischessen lösen.
Darum war ich zuerst einmal trotzdem froh, dass ich zumindest mein ambivalentes Verhältnis zu Fischen noch eine Zeitlang aufrecht erhalten konnte, um wenigstens sie weiterhin ohne Reue genießen zu können, denn auch wenn ich eine sehr innige Beziehung zu unserem blauen Antennenwels Alfons gepflegt hatte, die zwar recht einseitig und eher von mir als von ihm ausgehend aufrecht erhalten wurde, empfand ich an allen anderen Fischen mehr Freude über ihren Wohlgeschmack als dass ich mir hätte vorstellen wollen, mit ihnen zu kuscheln.
Ich lebte recht zufrieden als Pesci-Vegetarier, obwohl ich mich nie so nannte, und liebte Fische eher gebraten, gegrillt oder gedünstet als Forelle blau, als dass ich in ihnen Mitgeschöpfe sah, in deren schuppigem Körper eine Seele wohnte, die meiner gleichwertig hätte sein sollen, aber je weiter mich mein Weg aus der Vernunftebene in das Geist-Bewusstsein führte, in dem angekommen ich feststellen musste, dass meine Wahrheit von mir doch recht schöngeschummelt wurde, um mich vor dem schlechten Gewissen zu bewahren, das mir den letzten Genuss tierischen Fleisches verdorben hätte, desto mehr begann ich mich vor totem Fisch zu ekeln und ihn als Mitgeschöpf wahrzunehmen, dem man sein Leben nahm, damit meines um eine Lust des Wohlgeschmackes an meinem Gaumen reicher wird … ich konnte kein Fleisch, keinen Fisch mehr riechen oder sehen, ohne in ihm das getötete Tier zu sehen und so blieb als Konsequenz nur noch der Schritt, mich nur noch vegetarisch zu ernähren.
Als Vegetarier fühlte ich mich auch als guter Mensch, weil ich ja nicht mehr verantwortlich für den Tod von Tieren war, nachdem ich keine mehr aß und somit auch für mein Essen keine mehr sterben mussten.
In diesem Bewusstsein fühlte ich mich zwei oder sogar drei Jahre sehr wohl und hielt mich eigentlich auch für einen besseren Menschen … zumindest im Vergleich mit Fleischessern, aber dieser Zustand gewissensberuhigter Zufriedenheit hielt irgendwann auch nicht mehr an, denn ich hatte mich der Wahrheit geöffnet, ihr Zutritt gewährt und konnte die Tür nun nicht mehr vor ihr verschlossen halten, an die sie mit immer neuen Informationen pochte, mit denen sie an mein Gewissen appellierte.
Milch zu trinken, ohne dabei an die Kälbchen zu denken, denen ich sie damit wegnahm fiel mir genauso immer schwerer, wie Eier mit Genuss zu essen, während sich Bilder von Legebatterien vor meinem geistigen Auge aufbauten, aus denen sich das Wort „HÜHNERLEID“ formte.
Zwar hatte ich auch schon bevor ich Vegetarierin wurde, kein Bedürfnis empfunden Pelze zu tragen, aber nun erkannte ich leider, dass Leder auch nichts anderes ist, als die Haut eines Tieres, nur eben ohne Fell und diejenigen, die gegen Kürschner auf die Straße gehen und ihre Wut auf menschliche Pelzträger deutlich machen, indem sie deren wertvollen und teuren Kleidungsstücke aus Tierfell mit Farbe bespritzen und gleichzeitig Schuhe und Taschen aus Leder kaufen und anziehen, eine Doppelmoral pflegen, weil sie im Grundsatz nicht besser sind und sich trotzdem besser fühlen. Dabei ist es dem Tier vermutlich egal, ob man ihm sein Fell abzieht und es zu Leder gerbt, oder ob man daraus eine Pelzjacke fertigt und auch das Argument, dass zum Beispiel Nerze nur gezüchtet werden, um der Pelzverarbeitung dienen und Rinder sowieso wegen ihres Fleisches geschlachtet würden und somit nicht nur sterben müssen, um ihr Fell zu verlieren, wird wohl kein Tier überzeugen, freiwillig aus dem Leben zu scheiden, nur weil es anscheinend dem guten Zweck dient, die Menschen mit ihrem Fleisch satt zu machen.
Je weiter mich meine Überlegungen führten, desto mehr begriff ich, dass sich der vegane Gedanke eigentlich längst in mein Denken geschlichen und sich dort manifestiert hatte, ohne dass ich ihn je mit dem Verstand treffen musste, denn mir schmeckte Käse nicht mehr, auch wenn mir erst viel später erzählt wurde, dass zu seiner Fermentierung oftmals Kälberlab verwendet wird und sich damit auch „totes Tier“ darin befindet.
Mir widerstrebte es auch, Eier zu essen, solange ich sie noch als solche erkannte und darum verwendete ich sie nur noch zum Kuchenbacken – zumindest so lange wie ich sicher war, dass es dafür keinen untierischen Ersatz gibt, aber mit der freudigen Erkenntnis, dass Tortenböden aus Bisquitteig auch ohne dass ich Eischnee verwenden muss, wunderbar luftig werden können und es genügend Geschäfte gibt, die Alternativen wie tierproduktfreien Eiersatz verkaufen, blieb das Eierfach im Kühlschrank leer.
Das Interessante jedoch war, dass ich keinen Verzicht empfand, während ich immer konsequenter die Lebensmittel nach ihren Inhaltsstoffen prüfte und für mich nur noch Produkte in den Einkaufswagen legte, von denen ich sicher sein konnte, dass sie nichts tierisches enthalten.
Wobei ich natürlich auch staunte, wo überall „totes Tier“ drin ist, obwohl man es nicht vermutet – doch noch mehr erstaunte mich, wie gut ich mich fühlte und wie viel Freude mir das Essen machte, nachdem ich es endlich so ganz ohne schlechtes Gewissen genießen konnte.
Natürlich begann auch der Verstand irgendwann, mir zu helfen und mich mit guten Ideen oder zur Vorsicht mahnenden Warnungen, nicht alles zu kaufen, wo „vegetarisch“ drauf steht, zu unterstützen, nachdem ich ihn überzeugen konnte, dass ich mich sogar mit den Konsequenzen des Verzichts auf tierische Produkte vertraut machte und sie trotzdem eher als Bereicherung meiner Lebensqualität empfinde, denn als Form der Selbstkasteiung – aber anfänglich lehnte er den „veganen Unfug“ vehement ab und boykottierte ihn mit strikter Renitenz, indem er mich mit Argumenten bombardierte wie: Du wirst krank, wenn Du nur noch Grünzeug isst! Oder: Du bist zu sehr Deinem schweizerischen Gaumen verpflichtet, als dass Du ewig auf Käse verzichten könntest. Oder: Du wirst spätestens bei Tiramisu schwach, auch wenn da Mascarpone drin ist, weil Du es noch nie ablehnen konntest – nicht mal, wenn Du auf Diät warst. Ganz garstig war er, als er höhnte: Es wird keine Kuh weniger gemolken, nur weil Du das bisschen Milch nicht mehr trinkst und es wird kein Kalb weniger geboren werden, nur weil Du vegan leben willst, denn lieber schütten sie die Milch zu Seen zusammen und türmen Butter zu Bergen auf, als dass Milchbauern arbeitslos werden und Molkereien pleite gehen – Geld bleibt die oberste Intention der Menschen und da änderst Du auch nichts daran!
Doch steter Tropfen höhlt den Stein und so überzeugte irgendwann mein Gewissen meinen Verstand, weil es konsequent jeden Bissen meines Essens prüft und mir nur Genuss daran erlaubt, wenn ich die Freude in meinem Mund nicht hinterher bereuen müsste, falls sie das Leid eines Mitgeschöpfes fördern würde – dagegen waren auch die schlagkräftigsten Vernunftargumente machtlos und darum dachte irgendwann auch mein Verstand vegan.
Der Schritt zum Frutarier war nicht mehr ganz so groß und so auch weniger schwierig. Trotzdem gab es natürlich von Seiten meines Verstandes noch einmal einen Versuch, weiteren – nach seinem Empfinden – Unfug zu unterbinden, doch weil Lesen bildet und mit der Zeit dabei auch genügend Argumente angesammelt werden, halfen mir die Informationen über das Bewusstsein von Pflanzen aus den Seiten der Lektüre auch wieder zumindest einen Waffenstillstand mit meinem Oberstübchen auszuhandeln. Den wahren wir inzwischen sogar dann, wenn ich es konsequent ablehne, in eine Kartoffelchipstüte zu fassen, um mich an den in Scheiben geschnittenen Knollen zu bedienen, aber noch immer vernehme ich beim Einkauf ein beleidigtes Grollen, kaum dass ich mich weigere, das vergleichsweise günstige Suppengemüse zu kaufen, weil in der Tüte auch Möhren und Zwiebeln enthalten sind, denn mein Gehirn kann rechnen … das würde nun mein ehemaliger Mathematiklehrer zwar so nicht bestätigen, aber wenn es darum geht, die Preise zu vergleichen, dann macht ihm so schnell keiner was vor und darum versucht es meine Hand immer noch zu den günstigen Angeboten zu lenken, damit ich sparsam mit dem Lebensmittelbudget umgehe und nicht statt dessen teures Obst kaufe, wenn auch seiner Meinung nach preiswerteres Gemüse im Angebot ist. Meine standhafte Ignoranz den billigeren Möhren oder Kartoffeln und dem reduzierten Kohlrabi gegenüber, wird von seinem missbilligenden Knurren gestraft und ich muss dann ab und zu schon noch mal deutlich klarstellen, dass wir keine Wurzeln und Knollen kaufen, nur um zu sparen. Meinen Verstand zu überzeugen ist nämlich immer dann besonders leicht, wenn man das Argument anführen kann, dass die Ausgaben gesenkt werden könnten und entsprechend schwer ist es, ihn auf meine Seite zu ziehen, wenn ich sie – seiner Meinung nach – leichtfertig erhöhe, obwohl das gar nicht nötig wäre, wenn ich auf ihn hören würde.
Darum konnte ich mich auch auf seine volle Unterstützung verlassen, als ich mich spontan entschied, das Rauchen aufzugeben, weil es süchtig macht, teuer ist und meine Gesundheit schädigt, denn mit dem Verzicht auf Zigaretten folgte ich eigentlich schlussendlich seinen Wünschen, die ich nur noch kurzfristig vom Kopf in die Tat umsetzen musste.
Mein Verstand war damit der Auslöser dafür, dass ich mit dem Rauchen aufhörte und im Prinzip auch derjenige, der den Zeitpunkt bestimmte, als er mir riet: „Je früher, desto besser!“
Im Gegensatz dazu war es keine spontane Idee, frugan zu leben, die mir an einem Tag kam, dessen Datum ich mir hätte merken können, sondern es war ein Entwicklungsprozess, der mich zuerst dazu reif werden ließ, kein Tierleid mehr verantworten zu wollen, wenn ich es vermeiden kann und mich dann weiterführte bis dahin, wo ich erkannte, dass meine Achtung alle Mitgeschöpfe umfassen muss und nicht bei den Tieren aufhören sollte.
Die Konsequenz dabei ist, dass manche Lebensmittel dadurch zum Tabu werden und das Ziel sollte im besten Fall sein, dass man sie trotzdem nicht vermisst.
Inwiefern es also möglich sein wird, sein Leben als freudvoller Mensch zu genießen, wenn man aus dem analytischen Verstandsdenken heraus einen Entscheid traf, der zuvor nach Vor- und Nachteilen abgewogen und dann sofort in die Tat umgesetzt wurde, kann und will ich nicht beurteilen. Ich denke allerdings, dass die Begrenzung auf die reinen Verstandsargumente bereits eine gewisse Enge der Sichtweise mit sich bringt, welche im Laufe einer weiteren Entwicklung zu einer Unzufriedenheit führen könnte, weil die sicherheitsorientierte Vernunft keine gefahrvollen weiten Reisen unternimmt und so auch nicht wissen kann, wie es dort aussieht, wohin man sich aufmacht. Lediglich die Hoffnung oder Erwartung ist mit der Vernunft verbunden, aber nie das Erforschen unbekannter Gebiete, die man sich selbst erlaubt zu entdecken, ohne dass man damit eine feste Vorstellung verknüpft … genau darum wird man jedoch auch nie enttäuscht werden – oder genau darum liegt die Enttäuschung nah, wenn man sich in den Entscheiden auf den vernunftorientierten Rat des Verstandes verlässt, der einem ein Reiseziel vorschlägt, das er selbst nicht kennt und Erwartungen damit weckt, die er zu erfüllen nicht garantieren kann.
Vielleicht ist es ein wenig wie wenn man sich einen Urlaub im Reisebüro bucht und vom Zielort nur die Bilder aus dem Prospekt kennt, die nur Gutes und Schönes versprechen, denn die Erwartung ist dann so hochgesteckt, dass jedes Detail, das dann nicht diesem Bild entspricht, ein negatives Empfinden auslöst, weil ein Versprechen gegeben und gebrochen wurde. Man genießt dann nicht mehr den Meerblick, sondern ärgert sich über die nahe Baustelle und richtet damit seinen Focus schon auf die unerfreulichen Dinge, anstatt sich über die Schönheit zu freuen, die sich überall zu zeigen bemüht, aber eben immer im Schatten des Negativen untergeht.
Wer aber loswandert und nichts erwartet, der öffnet sich allem Neuen und damit dass er keine feste Vorstellung vom Ziel hat, wird er davon auch nicht enttäuscht.
Wenn ich einen bestimmten Zeitpunkt wähle, um meine Lebensrichtung zu verändern, dann fixiere ich damit bereits eine genauso bestimmte Erwartung und wenn die sich nicht erfüllt, dann überwiegt schnell die Unzufriedenheit.
Wenn ich mir keine Zeit gebe, erst einmal auszuprobieren, auf welchem Weg ich am bequemsten gehe, sondern den Verstand entscheiden lasse, dann wählt er für mich vielleicht eine Straße, die zunächst einmal wirklich einladend wirkt, aber nach ein paar Kilometern eben schon zuende ist und dann in einen unwegsamen Pfad übergeht, auf dem es sich schlecht wandert, weil er immer nur so weit schaut, wie es ihm sein Sicherheitsdenken erlaubt … und das endet eben vor der ersten Hausecke, denn dahinter zu blicken, birgt bereits eine die Gefahr der Unübersichtlichkeit dessen, was sich dahinter eventuell versteckt.
Ich möchte mich darum nicht auf den Rat meines Verstandes verlassen, dem der Mut fehlt, ein Wagnis einzugehen, dessen Ausgang die Zukunft noch verbirgt und der seine Weisheit aus den Erfahrungen der Vergangenheit schöpft, sondern ich will mich von jemandem leiten lassen, der mich in der Gegenwart begleitet und mich so jeden Moment als neue Bereicherung erfahren lässt, die uns in die Reife führt.
Eben darum halte ich es für sinnvoll, auch zu jeder Überzeugung erst dann zu finden, wenn sie ein Ziel auf dem Weg des Prozesses einer Entwicklung ist, denn nur dann passt sie sich in mein Leben ein und nicht mein Leben sich ihr an.
Vielleicht würde ich also jedes Mal hadern, wenn ich nicht von der Vielfalt der im Supermarkt angebotenen Lebensmittel profitieren kann, weil einige von ihnen nicht in mein Lebensprofil passen, dem ich mich unterwarf .
Eventuell würde ich es vielleicht sogar als Weg der Katharsis empfinden, der mir einen Verzicht auferlegt und mir damit die Freude am Leben und am Genuss nimmt, wenn ich mich gedrängt gefühlt hätte, einen sofortigen Entscheid zu treffen und gleich in die Tat umzusetzen, der im Gegensatz zum Nichtrauchen weder Vorteile für meinen Geldbeutel, noch für meine Gesundheit versprochen hätte und somit vermutlich in meinem Kopf und aus der Sichtweise meines Verstandes nicht einmal als vernünftig hätte gelten können.
Bestimmt war es darum mein Verstand, der mich drängte, das Rauchen aufzugeben, aber frugan zu leben, war sicher nie seine Intention und so sehe ich den Unterschied darin, dass meine Verstandsentscheide von der Vernunft bestimmt werden, aber meine Wege, die ich entdeckte, wenn ich mich von meiner Intuition leiten ließ, führten sowohl mich, als auch meinen Verstand in kleinen Etappen zur Überzeugung, das Richtige zu tun und weil ich dabei stets jeden Schritt spüren darf, bevor ich mich entscheide ihn zu tun, kann sich auch meinen Verstand beruhigen, der mir immer öfter vertraut, dass ich nichts Falsches machen werde, solange meine Orientierungshilfe die Intention der Freude ist.
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